... "Chronic City" von Jonathan Lethem gehört schon jetzt zu den wichtigsten New-York-Romanen.
Im Wartezimmer des New Yorker Society-Arztes und Wunderheilers Strabo Blandiana entdeckt Perkus Tooth, ein abgebrühter und abgerockter Kulturkritiker mit einem Migräneproblem, der früher für den Rolling Stone schrieb, an der Wand die Fotografie einer orange leuchtenden Vase. Weder die Vase noch ihre Fotografie hat einen künstlerischen Wert. Die Vase ist einfach nur ein Ding. Aber sie ist so sehr ein Ding, dass sie vor Sinnhaftigkeit zu strahlen scheint. Zumindest für Perkus, der sich sonst ausschließlich mit der Deutung kultureller Zeichen beschäftigt. Die Vase ist plötzlich das Ding schlechthin, an das man sich klammern kann, wenn sich sonst alles Reale wie in einem großen Schwindelanfall aufzulösen scheint. Die Dringlichkeit der Dinglichkeit: Perkus, der sich von fast nichts (außer Marlon Brando und Norman Mailer) beeindrucken lässt, ist wie gebannt: »Die orangefarbene Vase erzählte Perkus nicht nur von der Möglichkeit, sondern von der tatsächlichen Existenz einer anderen Welt. Der Welt, die Perkus oder jeder andere gerne entdecken würde, dem herrlich realen Ort, an dem der schemenhafte, zerschlissene Deckmantel der Selbsttäuschung sich auflöste.«
[...]
Der amerikanische Autor Jonathan Lethem, geboren 1964 in New York, hat in seinem neuen Roman Chronic City viele solche Dinge wie das Kaldron erfunden, die immer gerade so knapp neben der Wirklichkeit liegen, dass der Leser ins Stutzen gerät, die aber doch so real sind, dass sie uns vertraut vorkommen. Zum Beispiel der »graue Nebel«, der Downtown Manhattan verhüllt und die Banker in Depressionen stürzt, weil sie ohne Tageslicht arbeiten müssen. Alle ahnen, dass es sich um die Rache der Natur an der exzentrisch gewordenen Wall Street handelt, aber man ist zu sehr Rationalist, um das laut auszusprechen. Das gilt auch für die Zeit, in der Chronic City spielt. Vieles – das Wechselbad von Angst und Manie, aber auch der New Yorker Bürgermeister Jules Arnheim, den man leicht mit dem realen Michael Bloomberg verwechseln kann – erinnert an die nuller Jahre. Andererseits hat alles einen Hauch des Zukünftigen, als müsse man die Gegenwart nur ein wenig ins Morgen verlängern, um in Lethems Welt anzukommen.
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Oder, wie es Richard Abneg, ein ehemaliger Hausbesetzer, der jetzt für den allmächtigen Bürgermeister von New York und Großkapitalisten Jules Arnheim arbeitet, ausdrückt:
Im Wartezimmer des New Yorker Society-Arztes und Wunderheilers Strabo Blandiana entdeckt Perkus Tooth, ein abgebrühter und abgerockter Kulturkritiker mit einem Migräneproblem, der früher für den Rolling Stone schrieb, an der Wand die Fotografie einer orange leuchtenden Vase. Weder die Vase noch ihre Fotografie hat einen künstlerischen Wert. Die Vase ist einfach nur ein Ding. Aber sie ist so sehr ein Ding, dass sie vor Sinnhaftigkeit zu strahlen scheint. Zumindest für Perkus, der sich sonst ausschließlich mit der Deutung kultureller Zeichen beschäftigt. Die Vase ist plötzlich das Ding schlechthin, an das man sich klammern kann, wenn sich sonst alles Reale wie in einem großen Schwindelanfall aufzulösen scheint. Die Dringlichkeit der Dinglichkeit: Perkus, der sich von fast nichts (außer Marlon Brando und Norman Mailer) beeindrucken lässt, ist wie gebannt: »Die orangefarbene Vase erzählte Perkus nicht nur von der Möglichkeit, sondern von der tatsächlichen Existenz einer anderen Welt. Der Welt, die Perkus oder jeder andere gerne entdecken würde, dem herrlich realen Ort, an dem der schemenhafte, zerschlissene Deckmantel der Selbsttäuschung sich auflöste.«
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Der amerikanische Autor Jonathan Lethem, geboren 1964 in New York, hat in seinem neuen Roman Chronic City viele solche Dinge wie das Kaldron erfunden, die immer gerade so knapp neben der Wirklichkeit liegen, dass der Leser ins Stutzen gerät, die aber doch so real sind, dass sie uns vertraut vorkommen. Zum Beispiel der »graue Nebel«, der Downtown Manhattan verhüllt und die Banker in Depressionen stürzt, weil sie ohne Tageslicht arbeiten müssen. Alle ahnen, dass es sich um die Rache der Natur an der exzentrisch gewordenen Wall Street handelt, aber man ist zu sehr Rationalist, um das laut auszusprechen. Das gilt auch für die Zeit, in der Chronic City spielt. Vieles – das Wechselbad von Angst und Manie, aber auch der New Yorker Bürgermeister Jules Arnheim, den man leicht mit dem realen Michael Bloomberg verwechseln kann – erinnert an die nuller Jahre. Andererseits hat alles einen Hauch des Zukünftigen, als müsse man die Gegenwart nur ein wenig ins Morgen verlängern, um in Lethems Welt anzukommen.
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Oder, wie es Richard Abneg, ein ehemaliger Hausbesetzer, der jetzt für den allmächtigen Bürgermeister von New York und Großkapitalisten Jules Arnheim arbeitet, ausdrückt:
»Das Ding ist der ultimative Bullshit-Detektor.«
Chronic City erzählt von der Sehnsucht, sich vom Bullshit zu erlösen.
Es ist ein bisschen wie in Thomas Manns Zauberberg:
Es ist ein bisschen wie in Thomas Manns Zauberberg:
Während in Europa die Lichter ausgehen, geben sich die aufgeklärten Sanatoriumsbesucher, hin- und hergerissen zwischen Langeweile und Gereiztheit, unter dem Eindruck einstürzender Ordnungen dem Spiritismus hin.
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Aus dem "Zeit"-Artikel vom 1. April 2011 - "Der Bullshit-Detektor" von Ijoma Mangold
http://www.zeit.de/2011/14/L-B-Lethem
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