Wer meiner Leitkultur nicht folgt der verläßt besser gleich die Latrine!

Mittwoch, 13. April 2011

Nichts wie weg hier! ...


Des einen Glück ist des andern Graus: Nichts ist so schlimm wie ein Leben auf dem Land. Auch wenn manche das ganz anders sehen. Es ist einfach so.

Den entscheidenden Augenblick, der mir klar machte, dass ich einmal in einer Stadt leben wollte, verdanke ich ausgerechnet der dänischen Schlagersängerin Gitte. Ich war vielleicht 12, am Fernsehen lief ein Dokumentarfilm über Gitte, und die Kamera schaute von aussen auf Gittes Wohnung in Kopenhagen, sie lag in einem hübschen alten Haus, es war Abend, warmes Licht schien aus vielen Fenstern, es war Adventskalenderstimmung, und ich wusste: In der Stadt würde ich mich geborgen fühlen. In der Stadt, wo die Leute dicht beieinander leben, wo es nachts keine allein stehenden Häuser mit einer grossen Dunkelheit drum herum gibt, wo niemals alle schlafen, immer irgendein Licht brennt, immer irgendein Mensch unterwegs ist, kurz, wo Leben ist, aber auch eine wohltuende Anonymität.

Ich schaute damals also in Gittes Kopenhagener Fenster hinein, ich sang leise ihr «Ich will alles, ich will alles, und zwar sofort! Eh der letzte Traum in mir zu Staub verdorrt!» und wusste: In der Stadt würde ich mich frei fühlen. Und ich ahnte, dass in der Stadt auch die bange Frage, ob ich mich im Leben denn auch richtig entscheiden würde, ein Ende hätte. Weil ich dort, wo an jeder Ecke eine andere Möglichkeit wartete, gewiss irgendwie mein Glück finden würde. Im Gegensatz zum Land, wo es nicht viel zu werden gab. Auf dem Land, so wurde mir immer gesagt, war Auffallen gewissermassen eine Todsünde, wer auffällt, missfällt, in der Stadt musste man sich keine Grenzen setzen.

Das geistig weniger anstrengende Landleben

Die Stadt verlangt, dass man mit- und vorwärtsgeht. Das Land will, dass alles so bleibt, wie es immer schon war...

[...]

«Die tätige Landlust – Ein Praxisbuch des einfachen Lebens» wie John und Martha Storey, deren Buch so vom Verlag angekündigt wird: «Nüchtern betrachtet, geniessen heutige Stadtmenschen hinsichtlich ihrer elementaren Lebensbedürfnisse den gleichen Komfort wie Patienten auf der Intensivstation. Beide werden von brummenden technischen Apparaturen über vielerlei Kanäle mit den lebensnotwendigen Stoffen, Wässern und Nährsalzen rundum versorgt.»
Was für ein Bullshit!
Niemand von ihnen bestreitet, dass sie das Landleben als das «einfachere» Leben betrachten, das urtümlichere, das weniger komplexe und deshalb – geistig gesehen – weniger anstrengende. Sie bauen da auf Selbstverantwortung und Selbstversorgung, und ja, es ist immer lustig zu lesen, wenn eine Stadtpflanze wie die Frankfurterin Hilal Sezgin versucht, sich ernsthaft der Schafzucht zu widmen, aber dass in diesem Rückzug, in dieser beschaulichen Selbstgenügsamkeit auch ein Rückschritt liegt, eine Realitätsflucht, das sieht sie nicht.

[...]

"Nichts wie weg hier!" von Simone Meier im Tagesanzeiger vom 13. April 2011

http://www.tagesanzeiger.ch/kultur/diverses/Nichts-wie-weg-hier-/story/18166307

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